Die Ergebnisse der aktuellen Bildungsstatistik: „Treten auf der Stelle“.
Pressemitteilung
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Die aktuelle bildungsstatistische Analyse „Jugendliche ohne Hauptschulabschluss. Demographische Verknappung und qualifikatorische Vergeudung“ der Bertelsmann Stiftung vom 6. März 2023 macht erneut deutlich, dass der Anteil der Jugendlichen „ohne Hauptschulabschluss“ seit nunmehr zehn Jahren auf hohem Niveau verharrt.
Positiv fällt auf, dass die Bedeutung der Quote „ohne Hauptschulabschluss“ aufgrund der offensichtlichen Diskrepanz zu den vielfach nicht erreichten Mindeststandards im Rahmen der IQB-Bildungstrends von 2015 und 2018 hinterfragt wird. Das relativiert formale Schulabschlüsse und lässt Zweifel aufkommen, ob sie die erworbenen Kompetenzen von Schülern/innen angemessen abbilden. So lautet dann auch ein Fazit der Studie: „Die Quote ‚ohne Hauptschulabschluss‘ kann nicht als belastbarer Indikator für schulisch erbrachte Leistungen gewertet werden“. Dasselbe gilt natürlich auch für die Gruppe „mit Hauptschulabschluss“.
Ob die beiden pädagogischen Schlussempfehlungen – besonders leistungsschwache Schüler/innen im Unterricht bestmöglich fördern sowie deren Lernrückstände zuvor digital (was immer das heißt) frühzeitig erkennen und individuell begleiten – über das schulisch bisher Geleistete hinausgehen, kann bezweifelt werden. Das ist nicht neu und klingt fast etwas hilflos.
Interessanter ist schon der Vorschlag, die Bundesländer mögen die Umsetzung der „Schülerdatennorm“ voranbringen. Das 2020 beschlossene Instrument übermittle die Daten von Schülern/innen ohne berufliche Anschlussperspektive an die zuständigen Jobcenter, damit die Berufsberatung leichter mit ihnen in Kontakt treten könne, um z.B. Unterstützungen für den Übergang in berufsbildende Maßnahmen anzubieten. Gerade für Förderschüler sind staatliche Angebote zur Berufsvorbereitung unserer Erfahrung nach äußerst nützliche Instrumente. Sie helfen, persönliche Entwicklungsverzögerungen aufzuholen, und ermöglichen – abgesehen von der Option, den Hauptschulabschluss nachzuholen – mit ihrer Nähe zur Berufswelt einen praxisnahen Einstieg auch in Lerninhalte, die rein schulisch nicht vermittelt werden konnten. Das korrespondiert vielfach mit ihrem mehr praktisch ausgerichteten Stärkenprofil.
Nicht neu ist das vehemente Eintreten der Bertelsmann Stiftung für Anliegen der schulischen Inklusion. Entsprechende Inhalte werden mittlerweile jedoch zurückhaltender formuliert. Zudem fällt ein merklicher Widerspruch in der Argumentation auf. Einerseits wird zugestanden, dass in der Gruppe der Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf die leistungsstärkeren Schüler/innen womöglich eher inklusiv und die leistungsschwächeren eher exklusiv in Förderschulen unterrichtet werden. Und dennoch spräche viel für die Feststellung, dass Schüler/innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in inklusiven Lernsettings im Vergleich seltener dem Risiko ausgesetzt wären, ihre Schulzeit ohne Schulabschluss zu beenden als gleichaltrige Schüler/innen an Förderschulen. Dieses Risiko muss demnach keinesfalls logisch zwingend dem Lernsetting, sprich dem Schultyp Allgemeinschule vs. Förderschule angelastet werden, sondern kann mit gleicher Berechtigung den vermutlichen Unterschieden zwischen den eingeräumten leistungsstärkeren vs. leistungsschwächeren Schülern/innen geschuldet sein. Ein handfester Beweis ist das nicht und ebenso wenig die darauf bauende inklusionsbetonte Schlussfolgerung. Warum, so darf man fragen, korrelieren (nach eigenen Berechnungen) beispielsweise die ländertypischen „Inklusionsquoten 2019/20“ positiv und statistisch signifikant (R = .521*) mit dem „Verfehlen der Mindeststandards in Mathematik 2018“?
Insgesamt hat die Bertelsmann Stiftung wieder einmal eine sicher nützliche Schulbilanz vorgelegt, die man jedoch nicht unkritisch lesen sollte.
Prof. Karl-Heinz Eser
Wissenschaftlicher Beirat